Camilla - Unterkieferfehlstellung

Als Körperarbeiterinnen haben wir gelernt unsere Aufmerksamkeit auf Verspannungen, Verschiebungen und Läsionsmuster zu lenken. Wir finden sie, wir bestimmen ihre Position und wir versuchen sie zu korrigieren. In der Craniosacralarbeit ist das nicht genug. Hier ist die Aufgabe tiefer zu denken, tiefer zu fühlen, tiefer zu sehen. In jedem Trauma, in jeder Verspannung, die wir finden, finden wir Auswirkungen nicht die Gründe. Es wieder gut zu machen ist nur der halbe Grund warum ein Mensch zu uns kommt. Wir müssen lernen durch die Läsionsmuster hindurch zu lesen und uns mit ihnen verbinden um herausfinden was der ursprüngliche Grund für sie ist. Die körperliche Ursache hat in 99% der Fälle einen geistig – seelischen Hintergrund, der gefunden und bearbeitet werden möchte.

Camilla ist eine sehr aufgeschlossene, robuste junge Frau die mit beiden Beinen mitten im Leben steht. Sie kam zu mir, weil sie einer Operation ihres Unterkiefers entgehen wollte. Die Diagnose der Ärzte lautete: Verschiebung nach links und Rücksetzung des Unterkiefers. Camilla hatte schon viele schwere Operationen hinter sich, da die Weisheitszähne in ihrem schmalen Kiefer keinen Platz hatten und entfernt werden mussten. Auch hatte sie ständig mit ihren Wurzelspitzen Probleme und einige Resektionen hinter sich.

Ich tastete ihr Unterkiefer ab und war erstaunt so viel Bewegung zu finden. Ich hatte vermutet, dass es starr, fest und unbeweglich sein müsste. Doch im Gegenteil, es war übermobil und ließ sich leicht in jede Richtung verschieben. Ich fragte Camilla nach einem Unfall oder Sturz in der Kindheit und sie antwortete, dass da gar nichts gewesen war. Ich verband meinen Focus mit ihrem Keilbein und stellte fest, dass es links mit ihrem Kiefer völlig zusammengespannt war, was zur Folge hatte, dass sich der ganze Kopf nach links neigte und in dieser Position ziemlich schief auf der Halswirbelsäule aufsaß. Ich animierte das Keilbein in einen Entwindungsprozess zu gehen und bald wurde das Gefühl des zusammengeschweißten mit dem Kiefer leichter. Dann legte ich Zeige- und Mittelfinger auf den Diskus des Kiefers und begann sie sanft zu massieren.

Anschließend drückte ich den Unterkiefer sanft nach unten, damit vor allem der linke Diskus mehr Raum bekäme. Ein tiefes Seufzen von Camilla war die Antwort. Sie fiel in einen tiefen Entspannungszustand. Leise fragte ich sie ob sie sich jetzt an den Unfall erinnern konnte. Und sie antwortete ganz spontan „Ja, das war mit dem Rad. Das ich das vergessen konnte?“. Wir beendeten die Behandlung mit einigen Stretches der Arme und Beine und dann erzählte mir Camilla die Geschichte über ihren Radunfall: „Ich war ungefähr sechzehn Jahre und hatte Hausarrest. Trotzdem schlich ich mich aus dem Haus um mich mit meinen Freundinnen zu treffen, nur ganz kurz. Wir wohnten ein bisschen den Berg hinauf und ich ließ mich mit meinem Rad runtersausen. Da lag ein Stein im Weg, das Vorderrad blockierte und ich überschlug mich. Ich lag ganz benommen da und stellte fest, dass ich ziemlich stark aus dem Mund blutete. Ich raffte mich auf und schob das Rad nach Hause. Ich schlich mich in mein Zimmer und hatte Angst zu meiner Mutter zu gehen um zu beichten, dass ich heimlich, trotz Verbot ausgebüchst war. Mein Gesicht war verschwollen und ich sah im Spiegel, dass meine beiden Vorderzähne sehr locker waren. Die Schmerzen wurden immer größer, so dass ich dann doch zu Mutti ging. Ich wurde dann ins Spital gebracht und versorgt. Meine Mutter war nicht so böse wie ich befürchtet hatte.“

Diese ganze Geschichte – das heimliche Fortschleichen, der Schmerz des Unfalls, die Angst vor der Mutter – das alles hatte sich im Gewebe von Camilla eingeprägt und so diese starken Verschiebungen und Verspannungen, die zu dieser argen Kieferfehlstellung führten verursacht.

Bei der nächsten Behandlung fühlte sich Camilla von ihrem ständigen Druck im Kieferbereich erlöst. Sie hatte auch mit ihrer Mutter telefoniert und mit ihr über ihren Radunfall und ihre Gefühle gesprochen. Die beiden hatten in letzter Zeit ein etwas unterkühltes Verhältnis und Camilla war sehr froh, dass dieses Telefonat dazu beigetragen hat wieder näher zu ihrer Mutter zu rücken.

Diesmal stellte ich fest, dass Camillas Keilbein bei der Vorwärtsbewegung stark auf das Oberkiefer drückte, so dass alle oberen Backenzähne voll unter Druck standen. Das war sicher der Grund für die vielen Wurzelspitzenresektionen. Ein Glück war, dass Camilla erst 21 Jahre alt war und sich das Sphenobasilargelenk (Knorpelgelenk zwischen sphenoidale und occiput) erst zwischen 20 und 25 Jahre verknöchert. So konnten wir hier gut arbeiten und der Druck auf den Oberkiefer ließ nach.

Da Camilla schon so viele Zahnbehandlungen über sich ergehen lassen musste, war sie es gewöhnt, dass jemand in ihrem Mund arbeitet. Das ist für die meisten Menschen sehr schwierig zu ertragen, es kommt zu Brechreiz und anderen Abwehrsymptomen. Aber hier ging das super. Die Lösung des Mundbodens, die auch oft schmerzhaft ist, hat Camilla tapfer ertragen.

Nach drei Behandlungen ließ sich Camilla von ihrer Zahnärztin untersuchen. Diese stellte fest, dass eine Operation nicht mehr notwendig sei und obwohl sich Camilla immer gegen eine Zahnspange gewehrt hatte, willigte sie jetzt ein ihre Zahnfehlstellung regulieren zu lassen.

Feedback:

Auf wie vielen Ebenen Craniosacralarbeit wirkt zeigt sich in dem Brief, den Camilla mir nach Abschluß unserer Behandlungen geschrieben hat:

„Ich kam zur ersten Therapiesitzung mit sehr großen Erwartungen, die wie ich später bemerkte nicht enttäuscht wurden. Meine zahnärztliche Diagnose lautete: Kieferverschiebung nach links und Rücksetzung des Unterkiefers. Aufgrund dieser Verschiebung hatte ich ständig im linken Kieferbereich einen enormen Druck, der an manchen Tagen bis ins unerträgliche ging. Da ich diesen Druck schon lange Zeit hatte, fand ich mich ab, damit leben zu müssen. Dann hörte ich von Craniosacraltherapie und dachte mir ein Versuch ist es wert. Schon nach der ersten Behandlung war der gesamte Druck, der auf der linken Kieferhälfte lag, weg. Es war ein Gefühl, dass in diesem Moment unbeschreibbar war. Totale Erleichterung! Ein Abend verging. Am nächsten Tag, als ich aufwachte, hatte ich ein Gefühl, als hätte ich drei Jahre! Geschlafen. In Wirklichkeit schlief ich dieselbe Zeit wie immer, doch es schienen mir wie drei Jahre.

In den folgenden drei Wochen kam der Druck nicht zurück, obwohl ich auf ihn wartete. Dieses derartig befreiende Gefühl, dass man solch einen Druck los ist, werde ich bestimmt nicht vergessen. Ich fühlte mich auch irgendwie lebendiger.

Drei Wochen später kam ich zur nächsten Therapiestunde. Unmittelbar nach der Behandlung trat Müdigkeit bei mir ein und ich habe wieder sehr fest und gut geschlafen. Auch bei dieser zweiten Therapiestunde wurden verschiedene Druckstellen entdeckt, die dann „eliminiert“ wurden. Am Tag nach der Therapie trat etwas ein, dass ich auch schon beim ersten Mal verspürte. Ich bekam jedes Mal beim Einkaufen einen totalen Bio – Tick. Es fielen nur gesunde, vollkommen biologische Lebensmittel in den Einkaufskorb. Ob das mit so einer Therapie zusammenhängen kann ist mir nach wie vor ein Rätsel. Vorstellen kann ich es mir nicht, aber wieso hatte ich ständig diese Biogedanken am darauffolgenden Tag?

Im Prinzip kann nur sagen, dass sich bei mir ein komplett neues Lebensgefühl eingestellt hat. Ich habe gelernt, dass ich nicht mehr mit Schmerz leben muss.“

zurück zu den Fallgeschichten

zurück zum Inhaltsverzeichnis