Der Mutterkomplex

Sobald das Ei einer Frau und die Samenzelle eines Mannes zusammenfinden, entsteht neues Leben. Und dieses neue Leben ist natürlich von der ersten Minute an von diesen zwei Menschen und deren Familien geprägt. Bleiben diese zwei Menschen zusammen wird diese Prägung Jahr für Jahr vertieft. Wird das Kind beispielsweise zur Adoption freigegeben, wird es natürlich auch Prägungen der Adoptiveltern und deren Familien erhalten und dementsprechende Charaktermerkmale ausbilden. Gleiches gilt, wenn sich Eltern trennen und neue Lebenspartner hinzukommen.

Der Sinn der Sache: Familienverbände mit ähnlichen Ansichten, die sich gut miteinander verstehen, sich gegenseitig in ihrer Entwicklung unterstützen und sich gegenseitig Halt geben. So kann die Einzelperson im geschützten Rahmen zu einer, sich selbst und andere wertschätzende, ausgereiften Persönlichkeit heranwachsen.

Problematisch wird es, wenn ein Menschlein geboren wird und diese Bilderbuchsituation nicht vorfindet. Natürlich werden wir von unserer gesamten Familie beeinflusst und geprägt, ja sogar auch von Kindergartenpädagogin, Lehrern, Trainern, Ausbilderinnen, etc., aber hier wollen wir die typischen Formen und Auswirkungen des Mutterkomplexes besprechen, die in vielen Variationen auftreten können.

C.G. Jung spricht von einem Mutterarchetyp, der auch als „Große Mutter“ oder „Urmutter“ bezeichnet wird und sich im Mutterkomplex äußert, der sich sowohl positiv wie auch negativ zeigen kann. In Träumen tritt dieser Archetyp oft als Meer, oft sanft und beruhigend, aber auch als alles verschlingende Tsunamiwelle auf.

C.G. Jung unterscheidet zwischen einem Mutterkomplex des Mannes und der Frau. Er ordnet die männlichen Züge, die einer Frau innewohnen, dem Animus zu und die weiblichen Komponenten eines Mannes der Anima zu. Daraus folgert, dass die innewohnende Weiblichkeit eines jeden Menschen sich größtenteils nach dem richtet, wie er seine Mutter erlebt hat, bzw. welche Teile aus dem kollektiven Unbewussten er auf seine persönliche Mutter projiziert.

Diese innewohnende, von der Mutter geprägte Weiblichkeit, projiziert der Mann nach außen und das ist sozusagen seine Brille, durch die er Frauen im Außen wahrnimmt und die sein Frauensuchbild bestimmt.

Die Frau hingegen trägt diese Weiblichkeit gemäß ihrer Natur in ihrem Inneren und versucht diesem inneren Mutterbild nachzueifern oder lehnt es komplett ab, oft ist es eine Mischung aus Beidem, je nach dem, was Frau an der Mutter schätzt und was nicht.

Sobald ein Mensch beginnt sich bewusster wahrzunehmen und Unabhängigkeit erlangen möchte, zeigen sich Probleme, die je nach Charakter mehr oder weniger gut gelöst werden.

Jugendliche schließen sich oft in Gruppen mit Gleichgesinnten zusammen. In dieser Zeit werden Mutter- und auch Vaterkomplexe das erste Mal bewusst. Ist die Mutter z.B. extrem überbehütend, wird der Jugendliche sich extrem dagegen auflehnen oder er fügt sich, hat keine Freunde und wird als Muttersöhnchen oder -töchterchen gehänselt.

Die Pubertät ist die Zeit in der man ein Gefühl für sein eigenes Ich entwickelt und sich Fragen stellt: „wer bin ich?“ „was will ich?“ „was wollen die anderen von mir?“ „will ich das auch?“ usw. Daraus entsteht ein sehr unsicheres Gefühl, dass sich oft in Haltung und Kleidung der Jugendlichen ausdrückt und das solange andauert bis sich ein reifes Ich entwickelt hat.

Oftmals stellt sich ein sicheres inneres Gefühl nie ein und man legt sich eine „Maske“ zu, die die innere Unsicherheit, die Unzulänglichkeitsgefühle und Ängste überdecken soll. Mit der Zeit wird man sich selbst so fremd, dass man glaubt, man ist tatsächlich so. Diese Selbstentfremdung ist Nährboden für jede Menge Probleme körperlicher und seelischer Art.

Ein junger Mensch, der die Ablösungsphase von seinen Eltern und Bezugspersonen positiv vollzogen hat, kann all die positiven von der Mutter geprägten Eigenschaften, wie z.B. sich wertvoll und gut zu fühlen, seinen Körper zu lieben, fürsorglich zu sein, sich selbst ein Heim schaffen, gut kochen, Harmonie verbreiten, etc. verinnerlichen und erfährt von seiner Umwelt im Gegenzug liebevolle, freundliche Rückmeldung, so dass sich sein Leben im Großen und Ganzen positiv gestaltet.

Die folgende Auflistung ist sicher nicht vollständig, sie zeigt pauschal an, wie sich etwas entwickeln kann und wird teilweise bei Frauen ebenfalls zutreffen. Will man wirklich seine Probleme lösen, muss man sich die Problematik jedes Einzelnen im Detail am besten mit Hilfe eines Therapeuten / einer Therapeutin ansehen.

Der negative Mutterkomplex bei Männern:

  • Der Sohn wurde von der Mutter als absoluter Kronprinz behandelt:

Als Mann zeigt er jetzt ein übertriebenes Selbstbewusstsein, er erwartet von seiner Umwelt Unterordnung und Hofierung und ist nicht bereit „niedere“ Dienste, wie Kloputzen, Kochen, etc. zu übernehmen.

Probleme:

mit der Partnerin, die ja im Gleichberechtigungszeitalter Mithilfe erwartet.

am Arbeitsplatz, wo meist ein gewisser Grad von Unterordnung und Zusammenarbeit gefordert wird.

Durch die Diskrepanz, die sich zwischen der Kindheitssituation und der Erwachsenensituation ergibt, neigt der Mann zu aggressivem Verhalten, fühlt sich in seiner Herrlichkeit nicht bestätigt, was wiederum zu Depressionen führen kann.

  • Der Sohn wurde von der Mutter entwertet, nach dem Motto „alle Männer sind unfähig und schlecht“

Als Mann fühlt er sich wertlos und ungeliebt. Möglicherweise versucht er allen alles recht zu machen, übernimmt sich und endet im Burn out.

Probleme:

Mann fühlt sich so unwürdig, dass er sich kaum traut eine Frau anzusprechen. Wenn sich eine Partnerin von ihm trennt, stürzt er in ein tiefes Loch, denn er fühlt sich in seiner Wertlosigkeit bestätigt.

Neigung sich in eine Scheinwelt z.B. Computerspiele zurückzuziehen, in der man sich eine „Superpersönlichkeit“ aufbaut

Am Arbeitsplatz: Eifersüchteleien und das Gefühl nie für seine Leistung bestätigt werden.

  • Der Sohn wurde von der Mutter als Ersatzpartner gehalten:

Für den Mann steht Mutter über Allem, man kann sich nur mit ihr beraten, ihre Meinung zählt mehr als die der Anderen und man kann sich schon gar nicht von ihr trennen, das wäre Sünde.

Probleme:

mit der Partnerin, die ja auch eine eigene Meinung hat, die die Mutter nicht bei jedem Ausflug und schon gar nicht bei der Hochzeitsreise dabei haben möchte.

Massive Diskrepanzen zwischen den beiden Frauen, die den Mann veranlassen heimlich zu seiner Mutter zu schleichen, die ihn dann verwöhnt und mit der er „alles“ bereden kann. Bei der Mutter fühlt er sich als vollwertiger Partner

am Arbeitsplatz sind diese Männer meist sehr erfolgreich.

  • Die fressende Mutter, die ihrem Sohn alles abnimmt, ihn mit Liebe über- oder zuschüttet und so ängstlich ist, dass dem „Bubi“ etwas passiert, dass er unter eine große Käseglocke gestellt wird.

Als Mann ist er ungeschickt, da er ja nie gelernt hat seinen Körper einzusetzen. Er hat wenig Selbsthilfepotential, weil ihm jeder Stein aus dem Weg geräumt wurde.

Probleme:

Dieser Typ Mann zieht starke Frauen an, an die er sich anlehnen kann, wie bei Mutti. Er fordert ständig, kann aber wenig geben. Neigung zu Übergewicht und Impotenz in frühen Jahren.

Am Arbeitsplatz ist er nicht fähig aus sich selbst heraus Eigeninitiative zu zeigen. Ist immer an Anweisungen gebunden. Fühlt sich leicht überfordert und versteckt sich vor der Arbeit oder er übersieht sie einfach.

  • Die Mutter sieht sich selbst als Opfer. Der Sohn erlebt eine Frau in dienender Rolle

Der Mann sieht die Frauen als Schlampen und/oder Putzfrauen, die nur zur Befriedigung seiner Bedürfnisse auf der Welt sind.

Probleme:

Was in der Partnerschaft geschieht, kann sich jeder Leser selbst vorstellen.

Am Arbeitsplatz eckt dieser Typ mit seinem Machoverhalten extrem an und kann weibliche Vorgesetzte kaum akzeptieren.

  • Die Mutter ist arm, krank und hilflos und gibt dem Sohn das Gefühl auf seine Hilfe angewiesen zu sein.

Als Mann fühlt man sich immer für die Mutter im speziellen, aber auch für alle Frauen verantwortlich.

Probleme:

In der Partnerschaft konkurriert die Frau mit der hilflosen Mutter oder sie ist überfordert dadurch, dass sie selbst auch für die Schwiegermutter sorgt. Die „arme Mutter“ ist das Hauptthema der Beziehung.

Am Arbeitsplatz: ist der Mann bei Frauen sehr beliebt, da er sehr rücksichtsvoll und hilfsbereit ist. Oft kann er sich jedoch auf der Karriereleiter nicht durchsetzen, außer vielleicht als Leiter im Altersheim ;)

Zum Abschluss einige Fragen, die zum Nachdenken anregen sollen:

  • Wie wertvoll ist Mutter/Vater in Deinem Leben?
  • Viele leben in einer „Patchwork“ Familie – Was sind Deine Erfahrungen – wie geht es Dir damit?
  • Sexueller Missbrauch von Vertrauenspersonen? – Die Medien sind voll davon – leidest Du darunter? – Möchtest Du etwas dazu sagen?
  • Haben sich die Mütter geändert – arbeiten sie genauso viel wie Männer und machen Karriere?
  • Haben sich die Väter geändert – übernehmen sie „Pflichten“ Kindererziehung, wickeln, füttern, staubsaugen putzen, einkaufen, kochen - wie siehst Du das?
  • Sind Mutter und Vater gleich belastet und/oder beide Elternteile überlastet
  • Mischen sich Väter/Mütter in Dein Leben ein, obwohl Du schon erwachsen bist?
  • Ist es so, dass sich die Gesellschaft geändert hat?
  • Sind Wohnungspreise so gestiegen, dass Söhne / Töchter sich die eigene Wohnung nicht leisten können und deswegen länger bei den Eltern bleiben?
  • In vielen Ländern leben und schlafen bis zu 8 Personen und mehr in einem Raum und viele unter freiem Himmel – haben die dann auch einen Mutterkomplex/Vaterkomplex?